Für Michael und Lucy


Die Leserin

Mütter und Väter sind komisch. Ihr eigenes Kind kann eine noch so widerliche kleine Ratte sein – sie bilden sich trotzdem ein, er oder sie seien eine Offenbarung.

Manche Eltern gehen sogar noch weiter. Sie werden aus lauter Liebe so verblendet, daß sie an ihrem Kind die Anzeichen eines wahren Genies erkennen.

Das wäre ja alles nicht so schlimm. So geht’s eben zu auf der Welt. Nur, wenn diese Eltern auch noch anfangen, uns was vorzuschwärmen von den Wundergaben ihrer eigenen umwerfenden Sprößlinge, dann kann man wirklich nur keuchen: «Wo ist ein Eimer? Wir müssen kotzen.»



Lehrer haben unter diesem Gequatsche eingebildeter Eltern ganz schön zu leiden, aber sie können sich wenigstens rächen, wenn sie Zeugnisse schreiben. Wenn ich Lehrer wäre, würde ich mir für die Kinder solcher Affeneltern regelrechte Verrisse zusammenbrauen. «Ihr Sohn Maximilian», würde ich schreiben, «ist ein totaler Waschlappen. Ich hoffe, daß Sie über ein Familienunternehmen verfügen, in dem Sie ihn nach der Schule unterbringen können, denn es ist sonnenklar, daß ihn kein denkender Mensch freiwillig bei sich einstellen würde.» Und wenn ich an dem betreffenden Tage meine dichterische Ader spürte, würde ich vielleicht schreiben: «Es klingt zwar merkwürdig, ist aber eine Tatsache, daß die Hörorgane der Heuschrecken seitlich vom Magen angebracht sind. Nach dem zu urteilen, was Ihre Tochter Vanessa in diesem Schuljahr gelernt hat, scheint sie überhaupt keine Hörorgane zu besitzen.»



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